Österlen mit dem Fahrrad erkunden

Hier geht es nicht um die Beschreibung einer Etappenfahrt. Eigentlich handelt es sich genau um das Gegenteil davon. Wir sind tagelang kreuz und quer, oft ohne festes Ziel durch Österlen geradelt. Haben uns von Empfehlungen der Einheimischen leiten lassen, haben manche Orte mehrmals passiert und wahrscheinlich viele andere spannende verpasst. Uns ging es darum, die Region radelnd durch Essen, Trinken und Gespräche kennenzulernen. Dafür haben wir einen kleinen Einblick in eine Landschaft bekommen, die nachhaltigen Eindruck bei uns hinterlassen hat.

Österlen kurz nach Sonnenaufgang. Die Fahrräder stellen wir am Ende des Ravlundafältet ab, dort, wo es auf den Strand trifft. Wir befinden uns irgendwo zwischen Vitaby kyrka und Stenshuvud. Hier sieht Schweden aus wie in einem Werbeprospekt. Der Duft von Strandnelken und Sandthymian kitzelt in unseren Nasen. Von Schafen beweidete Dünen gehen über in Sandstrände und münden ins Meer. Unsere Radreise ist erst knapp einen Tag alt. Vier weitere mit Spannung erwartete Tage stehen uns noch bevor. Unser Ziel ist, die Landschaft, die den Namen Österlen trägt, kennenzulernen. Viele Schweden verknüpfen mit Österlen den perfekten Sommer. So wie mit den Schären vor Stockholm oder Göteborg oder den roten Stugas in irgendeinem Wald im Nirgendwo. Auch heute noch wachsen die meisten schwedischen Kinder mit dem Film Äppelkriget und der schwedischen Tom Sawyer Version Bombi Bitt auf und nehmen ihre Erinnerungen als Erwachsene mit nach Österlen, das mit einer teils spektakulären Landschaft und Kulinarik gesegnet ist. Und damit beginne ich auch. Kabeljau aus Simrishamn; Spargel aus Skillinge, Erdbeeren aus Maglehem. Ganz zu schweigen von den Kartoffeln, die hier angebaut werden.

Die Geschmäcker der Region fängt Drakamöllans Küche wohl am besten ein. Nicht umsonst reisen Touristen aus allen Teilen der Welt an, um die regionalen Produkte modern zubereitet zu genießen. Das Resultat dieser Verbindung ist ein hervorragendes Beispiel der modernen nordischen Küche. Die Räder fahren wie von selbst in Richtung des Hofes aus dem 17. Jahrhundert. Vielleicht, weil wir den Verkehr auf dem Riksväg 19 hinter uns gelassen haben, vielleicht aber auch einfach, weil wir Hunger haben. Hinter einem kühlen Laubwaldtunnel wartet das Fachwerkensemble wie ein Sommernachtstraum, umarmt von Honigrosen und hohen Buchen. So viele markante und scharfzüngige Stimmen waren schon einmal hier. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbrachten Stig Dagerman, Vilhelm Moberg und Harry Martinson ihre Abende in Drakamöllan in Gesellschaft der Familie des Volkskundlers John Nihlén. Dann kam Graf Christer Mörner, der regelmäßig von Sven-Bertil Taube, Monica Zetterlund und Olle Adolphson besucht wurde. Heute betreibt Ingalill Thorsen das Drakamöllan zusammen mit Küchenchef Jesper Dahl und Christina Olsson. Auf dem Schild an der Hauptstraße steht Farmhotel. Die Realität ist viel mehr als das. Aus der ursprünglichen Idee eines Inspirationsplatzes wurden die regelmäßigen Treffen des Nordiskt Forums für Wissenschaftler, Künstler und Medienpersönlichkeiten. Zuvor hatte sich die Idee eines dänischen Baritons, der zu Gast war, zu einem Opernfestival entwickelt, das jeden Sommer die natürliche Akustik der Buchenwälder zum Klingen bringt – von Madame Butterfly bis hin zu der selbst produzierten Kinderoper über den Drachen Kjetil. Natur, Saison und lokale Zutaten bestimmen, was serviert wird, gedruckte Menükarten sucht man vergeblich. Stattdessen wird das Abendessen wortwörtlich am Esstisch präsentiert. Gravad Ochsenfilet mit Kerbelmayonnaise, eingelegten Pfifferlingen und Preiselbeervinaigrette eröffnet das Menü. Dann ein fließender Übergang zum halbierten Kabeljau-Rückenstück, begleitet von cremigem Weißwein- und Fenchelschaum. Das Finale mit eingelegten Holunderbeeren und Erdbeereis mit gerösteten Mandelkrümeln und Korallenfarnen beendete die dreigängige Reise durch Österlen an diesem Abend.

Der Sand ist weich, fast pudrig, es quietscht und flüstert unter den Füßen. Es ist leicht, sich mitreißen zu lassen. Während wir losfahren, kommt uns in den Sinn, dass der schwedische Naturforscher Linné, als er durch dasselbe Gebiet reiste, zu seiner eigenen Verwunderung festgestellt haben soll, dass Teile Dänemarks und Deutschlands nach Norden gedriftet zu sein schienen. In Skepparps Vingård ist diese Bemerkung noch immer aktuell, denn hier wird aus ordentlich aufgespannten Reihen von Weinstöcken ein Wein gewonnen, den einer der größten chilenischen Weinkenner vor Kurzem im Blindtest als aus dem südafrikanischen Hochland kommend bezeichnete. Natürlich gab es Zweifler, sagte Bengt Fuffe Åkesson in etlichen Interviews die er in den letzten Jahren gab. Aber er war überzeugt: Wenn man in Österlen Äpfel anbauen kann, kann man auch Trauben anbauen. Heute umfasst der Anbau rund 13.000 klimaresistente Rebstöcke und die Rebsorten Solaris, Rondo und Cabernet Cortis, die zu Rot-, Weiß- und Schaumwein verarbeitet werden.

Wir machen uns wieder auf den Weg und sind nicht mehr als eine Stunde in Bewegung, um ins Landesinnere zu radeln. Abseits von Haväng und dem Strom der Wohnmobile an der Küste erreichen wir Vitaby. Der Ort besteht aus alltäglichen Häusern, grünen Traktoren und einer weißen Kirche mit einem Treppenturm. Wir haben die Empfehlung erhalten, die Backroads Farm anzusteuern. Dort soll es verschiedene Varianten von mit Gold und Silber ausgezeichneten Apfelmost geben. Hier in der Region befindet sich das Zentrum des schwedischen Apfelanbaus. Dementsprechend macht es natürlich Sinn, dass alle schwedischen Meisterschaften rund um das Thema Apfel auch hier ausgetragen werden (Übrigens, die Schweden lieben Meisterschaften. Man mag es kaum glauben, zu welchen Themen es in diesem herrlichen Land schwedische Meisterschaften gibt, mehr dazu vielleicht einmal in einem eigenen Artikel). Der Besitzer ist erst vor einigen Jahren aus Simrishamn hierhergezogen und ist gelinde gesagt ein richtiges Original. Auf den Tisch stellt er uns drei Flaschen von Bad Apple’s Must. Die psychedelischen Totenköpfe und blutroten Apfelranken auf den Etiketten stehen im Gegensatz zu der lieblichen Landschaft, passen aber hervorragend zum Produzenten. Man kann die Säfte direkt in seinem 24/7 Hofladen kaufen. Der schwedische Meistertitel für die Variante „Red October“ ist für uns mehr als nur nachvollziehbar. Trotz unseres limitierten Platzangebots nehmen wir einige Flaschen mit und verstauen sie in unseren Satteltaschen, neben den Weinflaschen, die wir bereits zuvor eingepackt haben.

Abgesehen davon ist Vitaby ein Dorf wie viele andere in Österlen. Bank, Post, Bäckerei und Geschäfte, die nach und nach verschwunden sind. Doch in Österlen finden sich seit etlichen Jahren Einheimische und Neuankömmlinge, die sich nicht mit dem Niedergang der kleinen Ortschaften abgefunden haben, sondern kreative Ideen entwickelten, um den Fortbestand der dörflichen Strukturen zu sichern. Natürlich kommt es dabei gelegen, dass einer der Trends im internationalen Tourismus für die Gegend spricht. Viel Natur, kleine Dörfer, Sandstrände, Meer, regionale Produkte und Rücksichtnahme auf ökologische Aspekte.

Die Reise von Vitaby nach Süden fordert die Sinne heraus und räumt mit falschen Vorstellungen auf. Zum Beispiel die, dass Skåne flach ist. Gefühlt sind wir den ganzen Vormittag bergauf geradelt. Von der Erhebung, auf dem das Bästekille Gårdshotell steht, sieht Österlen aus wie eine entrollte Schatzkarte im Megaformat. Hanöbukten, Felder, Obstgärten und ein riesiger grüner Buckel im Süden. Das ist die Richtung, in die wir uns bewegen. Vielleicht halluzinieren wir auch schon ein wenig, als wir im Stenshuvud-Nationalpark ankommen oder die Begeisterung für die Landschaft geht mit uns durch. Der Buchenwald mit seinem verschlungenen Efeu und dem feuchten Boden kommt einem Dschungel so nahe, wie man es nördlich des Wendekreises des Krebses nur sein kann. Der Strand südlich von Krivareboden mit seinen grünen Schatten auf weißem Sand erweckt den Eindruck, sich auf einer thailändischen Dschungelinsel zu befinden.

Hinter dem Coop in Simrishamn beginnt es zu regnen. Vorbei am heute regennassen Strand Vårhallen an dem einige Wildcamper übernachtet haben, fahren wir bis zum Fischerdorf Baskemölla, das vom kleinen Hafen aus in gemessenen Schritten ansteigt. Heute geht es bis nach Kivik, mehr dazu einem meiner früheren Blogeinträge. Dann drehen wir um und fahren über andere Nebenstraßen zurück nach Simrishamn. Eine regennasse Steigung nach Simrishamn führt bald zu einem Straßenschild mit der Aufschrift Gröstorp und einem weiteren, das vor betrunkenen Personen warnt. Nicht weit entfernt von den beiden Schildern stoßen wir auf ein ehemaliges Stallgebäude, in dem wir die Nacht verbringen werden. Später erfahren wir, dass, als Sanna Lindell und ihr Mann Patrik vor einigen Jahren ihren Angelurlaub in Skåne beendet hatten und die Heimreise nach Stockholm antraten, sie zufällig an einem „Zu verkaufen“ Schild vorbeikamen, das sie ansprach. Heute ist Bengtssons Loge sowohl ein Zuhause als auch eine ganzjährig geöffnete Herberge. Und es scheint gut zu laufen. Alles hat hier seine Zeit. Die Sommergäste, die das vom Fernsehen bekannte Anwesen der Familie Mandelmann, die Gärtnerei von Karl Fredrik und Ernst Kirchsteigers renoviertes Haus aufsuchen. Die Angler, die vom Lachs bis zur Frühjahrsmeerforelle alles angeln. Der Herbststurm, der im November Surfer auf den Wellen von Gislövshammar und Kåseberga (siehe auch meinen früheren Blogeitnrag zu Ales stenar) reiten lässt. Und Radtouristen wie wir. Fast alle landen in der Unterkunft vor dem einen oder anderen lokal gebrauten Bier. Am nächsten Morgen ist die Sonne zurück und wir fahren wieder los. Zikorien und roter Mohn säumen die Landschaft, die uns dazu bringt, den angenehmsten Gang des Fahrrads einzulegen. In der Ferne leuchtet das Meer so blau, wie es vielleicht nur hier möglich ist.


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